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Die Chemikerin, die 16 Sprachen sprach – Die Geschichte von Kató Lomb

Was kann uns eine Chemikerin aus dem letzten Jahrhundert über das moderne Sprachenlernen beibringen? Überraschend viel. Diese Folge beleuchtet die Geschichte und die Methoden von Kató Lomb, einer legendären ungarischen Polyglotte, die glaubte, kein angeborenes Talent für Sprachen zu haben, und dennoch sechzehn davon meisterte.

Wir besprechen ihre berühmte Erfolgsformel, die die Angst vor Fehlern als größte Hürde auf dem Weg zur Sprachbeherrschung identifiziert. Lerne ihre bahnbrechenden Techniken kennen, wie zum Beispiel die Verwendung interessanter Romane zum Aufbau eines sprachlichen Kerns, die Macht kleiner täglicher Gewohnheiten und warum Selbstgespräche ein geniales Übungswerkzeug sind. Entdecke eine praktische, menschennahe Philosophie, die beweist, dass Sprachkompetenz kein besonderes Talent ist, sondern eine Fähigkeit, die jeder entwickeln kann.


Die Chemikerin, die 16 Sprachen sprach – Die Geschichte von Kató Lomb
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Podcast-Skript

Ben: Willkommen zurück bei Vocafy Unpacked. Ich bin Ben und ich bin hier mit Clara. Heute probieren wir mal etwas anderes aus. Wir tauchen ein in die Geschichte einer wahren Legende des Sprachenlernens, jemanden, dessen Methoden unglaublich modern wirken, obwohl ihre Reise vor fast einem Jahrhundert begann.

Clara: Hallo Ben. Ich freue mich wirklich auf dieses Thema. Wir sprechen über Kató Lomb, eine ungarische Dolmetscherin und Polyglotte, die für viele Sprachenlerner, mich eingeschlossen, eine persönliche Heldin ist.

Ben: Ich muss zugeben, ihr Name war mir neu, bis du sie erwähnt hast. Was macht ihre Geschichte so besonders?

Clara: Nun, zunächst einmal war sie kein „Naturtalent“. Ihre Lehrer sagten ihr sogar, sie hätte kein Talent für Sprachen. Sie war ausgebildete Chemikerin mit einem Doktortitel in Physik und Chemie. Ihre Reise in die Welt der Sprachen begann nicht im Klassenzimmer, sondern aus reiner Langeweile und Neugier während des Zweiten Weltkriegs.

Ben: Eine Chemikerin? Nicht der Hintergrund, den ich bei jemandem erwarten würde, der ... wie viele Sprachen gelernt hat?

Clara: Sie hat sechzehn aktiv genutzt. Und ihre erste, Russisch, hat sie sich im Versteck selbst beigebracht, nur mit einem Schundroman und einem Wörterbuch. Diese Erfahrung hat ihre gesamte Philosophie geprägt. Für sie waren Sprachen keine akademischen Fächer, sondern Werkzeuge zur Verbindung, Fenster in andere Welten.

Ben: Was war also ihr Geheimnis? Wenn es kein angeborenes Talent war, was war es dann?

Clara: Sie hatte tatsächlich eine Formel dafür, die ich liebe. Sie sagte: Erfolg = (Investierte Zeit + Motivation) / Hemmungen.

Ben: Lass uns das mal aufschlüsseln. Zeit und Motivation ergeben Sinn. Aber durch Hemmungen teilen? Was bedeutet das?

Clara: Hemmungen sind die Angst davor, Fehler zu machen. Es ist diese Stimme in deinem Kopf, die sagt: „Sprich erst, wenn du es perfekt sagen kannst.“ Lomb glaubte, dass dies die allergrößte Hürde beim Lernen ist. Ihre gesamte Methode baut darauf auf, die Motivation zu maximieren und diese Angst absolut zu minimieren. Ihr berühmtes Zitat lautet: „Eine Sprache ist das Einzige, was es sich lohnt, auch schlecht zu können.“

Ben: Ich liebe dieses Zitat! Es ist so befreiend. Also, wie hat sie diesen Motivationsfaktor gesteigert?

Clara: Ihre oberste Regel war: Folge deinem Interesse, nicht einem Lehrplan. Sie bestand darauf, dass man mit Inhalten lernen sollte, die man wirklich faszinierend findet. Es ist egal, ob es ein Krimi, ein technisches Handbuch oder Promi-Klatsch ist. Wenn du wirklich am Inhalt interessiert bist, fühlt sich dein Gehirn nicht an, als würde es „lernen“.

Ben: Das klingt sehr nach der Philosophie hinter Vocafy – lernen mit Inhalten, die man liebt.

Clara: Genau. Sie war eine Pionierin dieser Idee. Sie hatte eine Technik, die sie „Bücherbad“ nannte. Sie nahm sich ein Buch in ihrer Zielsprache und las es einfach von Anfang bis Ende. Sie widerstand dem Drang, jedes einzelne unbekannte Wort nachzuschlagen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, den Kern der Geschichte aus dem Kontext zu verstehen und griff nur dann zum Wörterbuch, wenn ein Wort immer wieder auftauchte und ihr Verständnis blockierte.

Ben: Das ist ein mutiger Ansatz. Die meisten von uns haben das Bedürfnis, jedes einzelne Wort zu verstehen.

Clara: Aber genau das macht das Tempo und die Freude zunichte! Ihr ging es darum, zuerst einen „sprachlichen Kern“ aufzubauen. Ein Gefühl für den Rhythmus und die Struktur der Sprache durch massives Lesen und Hören zu bekommen. Die Grammatikregeln können später kommen, und sie werden viel mehr Sinn ergeben, weil man dann nur noch Namen für Muster vergibt, die man bereits intuitiv zu erkennen begonnen hat.

Ben: Okay, also wir haben massiven, interessengeleiteten Input und eine furchtlose Einstellung gegenüber Fehlern. Was war noch in ihrem Toolkit?

Clara: Zwei weitere, wirklich praktische Dinge. Erstens, mach es zu einer täglichen Gewohnheit. Sie war eine große Verfechterin davon, dass 10-15 Minuten konzentriertes Lernen jeden Tag weitaus wirkungsvoller sind als eine dreistündige Lerneinheit einmal pro Woche. Sie nutzte, was sie „Leerlaufzeit“ nannte – beim Warten in der Schlange, beim Pendeln –, um Wörter zu wiederholen oder zuzuhören.

Ben: Das ist eine Gewohnheit, die wir alle entwickeln können. Was war die zweite Sache?

Clara: Das hier mag etwas seltsam klingen, aber es ist brillant: Gewöhne dich an den Klang deiner eigenen Stimme. Sie ermutigte Lernende, Texte laut vorzulesen und sogar einfach mit sich selbst in der Zielsprache zu sprechen. Das hilft, die psychologische Hürde des Sprechens zu überwinden. Es gibt einem das Gefühl, dass die Worte zu einem gehören, sodass es sich nicht so fremd und beängstigend anfühlt, wenn es an der Zeit ist, mit einer anderen Person zu sprechen.

Ben: Also, um ihre Philosophie zusammenzufassen: Vergiss Talent. Finde etwas, das du liebst, tauche darin ein, habe keine Angst, Fehler zu machen, tu es jeden Tag ein bisschen und übe, mit dir selbst zu sprechen. Es klingt so einfach, so ... menschlich.

Clara: Das ist es. Und das ist ihr bleibendes Vermächtnis. Kató Lomb hat das Sprachenlernen entmystifiziert. Sie hat gezeigt, dass es keine Gabe ist, die nur wenigen Talentierten vorbehalten ist, sondern eine Fähigkeit, die für jeden mit genügend Neugier und dem richtigen, praktischen Ansatz zugänglich ist. Sie hat bewiesen, dass die Reise zur Sprachbeherrschung nicht mit einem besonderen Gen beginnt, sondern mit einer einzigen, fesselnden Geschichte.

Ben: Was für eine kraftvolle Botschaft. Es fühlt sich an, als hätte sie direkt zu jedem Lernenden gesprochen, der jemals frustriert war oder glaubte, er sei „einfach nicht gut in Sprachen“.

Clara: Absolut. Sie gibt uns allen die Erlaubnis, unperfekte Lerner zu sein, und zeigt uns damit den direktesten Weg, tatsächlich fließend zu werden.

Ben: Clara, danke, dass du ihre Geschichte geteilt hast. Ich fühle mich wirklich inspiriert.

Clara: Gern geschehen. Ich hoffe, unsere Zuhörer auch.

Vocafy, 10. Februar 2025