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Die Zeit in der Sprache entschlüsselt: Wie wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausdrücken

Das Ausdrücken von Zeit ist eine grundlegende Funktion der Sprache, die es Sprechern ermöglicht, Ereignisse in Bezug auf den Sprechzeitpunkt oder andere Ereignisse zu verorten. Dies schafft die Grundlage für alles, von einfachen Anekdoten bis hin zu komplexen Erzählungen. Sprachen nutzen hierfür bemerkenswert vielfältige Strategien: Einige verwenden morphologische Zeitformen (Verbkonjugationen), andere verlassen sich auf Aspektpartikeln und Adverbien, und viele kombinieren beides.

Gábor Bíró
11. August 2025 Lesezeit: 9 Min.
Die Zeit in der Sprache entschlüsselt: Wie wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausdrücken

Dieser Artikel untersucht sieben Fallstudien-Sprachen (Englisch, Spanisch, Mandarin-Chinesisch, Russisch, Hindi, Arabisch und Ungarisch), um diese unterschiedlichen Systeme zu beleuchten. Wir werden ihre typischen Lösungen vergleichen und untersuchen, was Kinder und Zweitsprachenlerner zuerst erwerben – und dabei den minimalistischen Werkzeugkasten identifizieren, der erforderlich ist, um sich in einer Fremdsprache erfolgreich in der Zeit zu bewegen.

Warum Zeit in der Linguistik wichtig ist

Die Darstellung von Temporalität – dem Konzept der Zeit – ist sowohl eine kognitive als auch eine linguistische Herausforderung. Damit Sprecher und Hörer verstehen können, wann ein Ereignis stattfindet, benötigen sie einen gemeinsamen konzeptuellen Rahmen. Sprachen bieten einen komplexen Werkzeugkasten, um diesen Rahmen zu schaffen, indem sie eine Kombination von Elementen verwenden, die zusammenspielen: Verbformen, Hilfsverben, Partikeln, Zeitadverbien und sogar die Intonation (Prosodie).

Verschiedene Sprachen „teilen sich die Aufgabe“ unter diesen Werkzeugen auf unterschiedliche Weise. In einigen wird die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft deutlich am Verb selbst markiert (morphologisches Tempus). In anderen liegt der Fokus auf dem Aspekt – der inneren Struktur eines Ereignisses (z. B. ob es andauert oder abgeschlossen ist). In vielen Sprachen ist der Ausdruck von Zeit untrennbar mit der Modalität (der Haltung des Sprechers, wie Absicht oder Bedingtheit) und der Evidentialität (der Kennzeichnung der Informationsquelle) verbunden.

Schlüsselkonzepte: Ein kurzes Glossar

Um zu verstehen, wie Sprachen mit Zeit umgehen, sind einige Schlüsselbegriffe unerlässlich.

  • Tempus: Die grammatische Funktion einer Verbform, die ein Ereignis in der Zeit relativ zum Sprechzeitpunkt verortet (z. B. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Es ist das grundlegende „Zeitstrahl“-Werkzeug.
  • Aspekt: Bezieht sich auf die interne zeitliche Struktur eines Ereignisses, als ob man es durch ein Kameraobjektiv betrachtet. Er beschreibt, ob ein Ereignis andauert, abgeschlossen, augenblicklich oder wiederholt ist.
  • Modus / Modalität: Zeigt die Haltung des Sprechers oder den Realitätsstatus einer Aussage an (z. B. Indikativ für Fakten, Konjunktiv für Wünsche/Hypothesen, Imperativ für Befehle). Dies ist eng mit der Zeit verbunden, insbesondere bei zukünftigen oder irrealen Ereignissen.
  • Temporales Adverbial: Wörter oder Phrasen, die die Zeit spezifizieren (z. B. heute, gestern, in zwei Stunden, letztes Jahr). Sie sind ein universelles Orientierungswerkzeug, unabhängig vom grammatischen System einer Sprache.
  • Evidentialität: Die grammatische Kennzeichnung der Informationsquelle des Sprechers (z. B. ob er es gesehen, von jemand anderem gehört oder abgeleitet hat). In vielen Sprachen ist dieses System mit Vergangenheitsformen verknüpft.

Fallstudien zur Temporalität

1. Englisch

  • Kernstrategie: Englisch hat eine morphologische Vergangenheitsform (z. B. walk → walked), aber keine eigene Flexionsform für das Futur. Die Zukunft wird periphrastisch mit Hilfskonstruktionen wie „will“ oder „be going to“ ausgedrückt. Die wahre Stärke des Systems liegt in der Verwendung des Aspekts.
  • Aspekt: Der progressive Aspekt (be + -ing) betont einen andauernden Prozess, während der Perfekt-Aspekt (have + Partizip Perfekt) die Abgeschlossenheit oder die Relevanz eines Ereignisses für die Gegenwart signalisiert.
  • Für Sprachlernende: Die zentrale Herausforderung besteht darin, die funktionalen Unterschiede zwischen den einfachen Formen und den Aspektformen zu verstehen (z. B. I read vs. I was reading vs. I have read).
  • Beispiele:
    • She walks to school. (Eine allgemeine, gewohnheitsmäßige Handlung.)
    • She walked yesterday. (Einfache Vergangenheit.)
    • She will walk tomorrow. (Zukunft.)

2. Spanisch (Español)

  • Kernstrategie: Eine stark morphologische Sprache mit einem reichen System an Verbkonjugationen. Sie unterscheidet bekanntermaßen zwischen zwei primären Vergangenheitsformen: dem Pretérito (pretérito) für abgeschlossene, punktuelle Ereignisse und dem Imperfecto (imperfecto) für andauernde oder beschreibende Handlungen in der Vergangenheit. Das Futur wird ebenfalls mit einer eigenen Flexionsform markiert.
  • Aspekt und Modus: Der Subjuntivo (Konjunktiv) beeinflusst stark den Ausdruck zukünftiger oder unsicherer Ereignisse. Der progressive Aspekt wird oft mit einer periphrastischen Struktur (estar + gerundio) ausgedrückt.
  • Für Sprachlernende: Die Unterscheidung zwischen Pretérito und Imperfecto zu meistern, ist ein Eckpfeiler des Spanischlernens, da sie für die Strukturierung von Erzählungen entscheidend ist.
  • Beispiele:
    • Ella caminó ayer. (Sie ging gestern – ein abgeschlossenes Ereignis.)
    • Ella caminaba cuando sonó el teléfono. (Sie ging gerade – Hintergrundhandlung – als das Telefon klingelte.)
    • Ella caminará mañana. (Sie wird morgen gehen – morphologisches Futur.)

3. Mandarin-Chinesisch (普通话 / Pǔtōnghuà)

  • Kernstrategie: Eine analytische Sprache ohne Tempusflexion bei Verben. Zeitliche Beziehungen werden hauptsächlich durch Aspektpartikeln, Modalverben und Zeitadverbien ausgedrückt.
  • Aspektpartikeln: Die wichtigsten sind le (了), das eine Vollendung oder eine neue Situation anzeigt; guo (过), das vergangene Erfahrungen ausdrückt; und zhe (着), das einen andauernden Zustand markiert.
  • Für Sprachlernende: Anstatt Verben zu konjugieren, müssen Lernende den Gebrauch von Partikeln und den Kontext meistern. Die korrekte Verwendung von „le“ ist für eine fließende Kommunikation von grundlegender Bedeutung.
  • Beispiele:
    • Tā zǒu le. (他走了。) – Er/Sie ist gegangen. (Abgeschlossene Handlung.)
    • Tā qùguo Běijīng. (他去过北京。) – Er/Sie war schon einmal in Peking. (Erfahrung.)
    • míngtiān qù. (他明天去。) – Er/Sie wird morgen gehen. (Zukunft durch Adverb markiert.)

4. Russisch (Русский язык)

  • Kernstrategie: Eine stark aspektorientierte Sprache. Fast jedes Verb existiert als imperfektives (andauerndes/wiederholtes) und perfektives (abgeschlossenes/einmaliges) Paar. die Wahl zwischen ihnen ist fundamental. Es gibt nur eine Vergangenheitsform (die nach Genus und Numerus variiert), und die Zukunftsform wird je nach Aspekt des Verbs unterschiedlich gebildet.
  • Für Sprachlernende: Die zentrale Aufgabe beim Erlernen der russischen Grammatik ist das Verstehen und Verinnerlichen dieser Aspektpaare. Dieses System deckt viele der Unterscheidungen ab, die im Englischen durch einfache vs. progressive Formen oder im Ungarischen durch Verbalpräfixe gemacht werden.
  • Beispiele:
    • Она читала книгу. (Ona chitala knigu.) – Sie las das Buch (imperfektiv, Prozess).
    • Она прочитала книгу. (Ona prochitala knigu.) – Sie hat das Buch gelesen/zu Ende gelesen (perfektiv, abgeschlossen).
    • Она будет читать завтра. (Ona budet chitat' zavtra.) – Sie wird morgen lesen (imperfektives Futur).

5. Hindi (हिन्दी)

  • Kernstrategie: Das Tempus-Aspekt-System des Hindi ist komplex und basiert auf Kombinationen von Verbpartizipien und Hilfsverben. Die Vollendung oder Kontinuität einer Handlung wird durch die Partizipform markiert, während ihre zeitliche Verortung durch die entsprechende Form des Hilfsverbs honā („sein“) angezeigt wird.
  • Aspekt: Eine grundlegende Unterscheidung wird zwischen abgeschlossenen (perfektiven) und unvollständigen/habituellen (imperfektiven) Handlungen getroffen. Transitive Sätze in der Vergangenheit verwenden oft eine Ergativkonstruktion, was die grammatische Markierung von Subjekt und Objekt beeinflusst.
  • Für Sprachlernende: Lernende müssen das System der Partizipbildung verstehen und wie sie mit Hilfsverben kombiniert werden, um zusammengesetzte Verben zu bilden.
  • Beispiele:
    • Vah cal rahā hai. (वह चल रहा है।) – Er geht gerade. (Präsens Progressiv.)
    • Vah calā. (वह चला।) – Er ging/ist gegangen. (Einfache Vergangenheit/Perfektiv.)
    • Vah calegā. (वह चलेगा。) – Er wird gehen. (Einfaches Futur.)

7. Arabisch (Modernes Standardarabisch)

  • Kernstrategie: Das System basiert traditionell auf zwei Hauptverbformen: dem Perfekt (fiʿl māḍī), das typischerweise eine abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit bezeichnet, und dem Imperfekt (fiʿl muḍāriʿ), das typischerweise eine unvollständige oder gegenwärtige Handlung bezeichnet.
  • Zukunft und Modus: Die Zukunft wird durch Hinzufügen des Präfixes sa- (nahe Zukunft) oder des Wortes sawfa (ferne Zukunft) zur Imperfektform gebildet. Der muḍāriʿ kann auch verschiedene Modi annehmen (z. B. Subjunktiv, Jussiv), die seine temporale und modale Interpretation beeinflussen.
  • Für Sprachlernende: Das Verständnis der Unterscheidung zwischen māḍī und muḍāriʿ ist die Grundlage der arabischen Grammatik. Das System ist logisch, sobald die Wurzel-und-Muster-Morphologie verstanden ist.
  • Beispiele:
    • hiya tamshī (هي تمشي) – Sie geht. (Imperfekt/Gegenwart.)
    • hiya mashat (هي مشت) – Sie ging. (Perfekt/Vergangenheit.)
    • **sa-tamshī (ستمشي) – Sie wird gehen. (Zukunft.)

5. Ungarisch (Magyar)

  • Kernstrategie: Hat morphologisch markierte Gegenwarts- und Vergangenheitsformen. Die Zukunft wird am häufigsten mit der Gegenwartsform und einem Zeitadverb oder mit dem Hilfsverb fog + Infinitiv ausgedrückt.
  • Aspektuelle Werkzeuge: Obwohl es die systematischen Aspektpaare des Russischen nicht besitzt, erfüllen ungarische Verbalpräfixe (z. B. olvas „lesen“ vs. elolvas „durchlesen/fertig lesen“) eine sehr ähnliche Funktion bei der Kennzeichnung der Vollendung.
  • Für Sprachlernende: Die korrekte Verwendung von Verbalpräfixen ist entscheidend, um die Vollendung oder den andauernden Charakter einer Handlung auszudrücken, was eine entscheidende Bedeutungsebene hinzufügt.
  • Beispiele:
    • Ő sétál. (Er/Sie geht/geht gerade.)
    • Ő sétált tegnap. (Er/Sie ging gestern.)
    • Ő holnap sétál. / Ő holnap fog sétálni. (Er/Sie wird morgen gehen.)

Sprachübergreifende Muster: Eine typologische Zusammenfassung

  • Zwei Hauptstrategien: Grob gesagt sind Sprachen entweder tempus-dominant (wie Spanisch), wo Verb-Endungen die Zeit markieren, oder aspekt-dominant (wie Chinesisch), wo Zeitadverbien und die Struktur des Ereignisses vorherrschen. Die meisten Sprachen verwenden eine Mischung aus beidem.
  • Die Vorrangstellung des Aspekts: In vielen Sprachen, insbesondere in Erzählungen, ist die Aspektinformation (abgeschlossen vs. andauernd) oft wichtiger als eine strikte Klassifizierung in Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft.
  • Wege in die Zukunft: Die grammatische Markierung für die Zukunftsform entwickelt sich oft aus Hilfsverben, die ursprünglich eine andere Bedeutung hatten, wie z. B. Absicht (will), Bewegung (be going to) oder Verpflichtung.
  • Zeit und Evidenz: In zahlreichen Sprachen kann die Beschreibung vergangener Ereignisse Evidentialität beinhalten, was vom Sprecher verlangt, die Quelle seines Wissens zu kennzeichnen.

Der Lernprozess: Was wir zuerst erwerben

Spracherwerb im Kindesalter

Kinder lernen das gesamte Zeitsystem nicht auf einmal. Ihre Fähigkeit, Zeit auszudrücken, entwickelt sich in Phasen:

  1. Zuerst meistern sie deiktische Zeitwörter, die sie im Hier und Jetzt orientieren: jetzt, bald, gestern.
  2. Die ersten Verbformen, die auftauchen, sind typischerweise die Gegenwartsform oder die einfachste Vergangenheitsform.
  3. Aspektuelle Unterscheidungen (z. B. essen vs. aß) treten relativ früh auf, da sie kognitiv konkreten Unterschieden bei Ereignissen entsprechen.
  4. Komplexere Zeitbeziehungen (z. B. Konditional Vergangenheit, Futur II) und feiner abgestufte modale Nuancen werden später erworben.

Das Überlebenspaket für Lernende

Als Sprachlernender müssen Sie nicht jede Zeitform kennen, um effektiv zu kommunizieren. Dieser minimalistische Werkzeugkasten ist in der Regel ausreichend, um anzufangen:

  1. Grundlegende Zeitadverbien: jetzt, gestern, heute, morgen, später, vorher.
  2. Eine einfache Gegenwarts- und eine einfache Vergangenheitsform: Wenn die Zielsprache morphologisches Tempus verwendet, reichen diese beiden für grundlegende Erzählungen aus.
  3. Eine Möglichkeit, die Zukunft auszudrücken: Dies könnte ein Hilfsverb wie „werden“ sein oder einfach die Gegenwartsform in Kombination mit einem zukünftigen Zeitadverb.
  4. Ein grundlegendes Aspektwerkzeug: Eine Methode, um zwischen einem Prozess und einer abgeschlossenen Handlung zu unterscheiden (z. B. englische -ing-Formen, ungarische Verbalpräfixe).
  5. Grundlegende Konnektoren: zuerst, dann, als/wenn.

„Ich lese ein Buch“ rund um die Welt

Diese Tabelle zeigt, wie unsere Beispielsprachen den einfachen Akt des Lesens eines Buches über die Zeit hinweg ausdrücken.

Sprache
Vergangenheit
Gegenwart
Zukunft
Englisch Gestern las ich ein Buch. Heute lese ich gerade ein Buch. Morgen werde ich ein Buch lesen.
Spanisch Ayer leí un libro. Hoy leo un libro. Mañana leeré un libro.
Mandarin 我昨天读了一本书。
(Wǒ zuótiān dú le yī běn shū.)
我今天在书。
(Wǒ jīntiān zài dúshū.)
我明天要读一本书。
(Wǒ míngtiān yào dú yī běn shū.)
Russisch Вчера я прочитал(а) книгу.
(Vchera ya prochital(a) knigu.)
Сегодня я читаю книгу.
(Segodnya ya chitayu knigu.)
Завтра я прочитаю книгу.
(Zavtra ya prochitayu knigu.)
Ungarisch Tegnap olvastam egy könyvet. Ma olvasok egy könyvet. Holnap olvasni fogok egy könyvet.
Hindi मैंने कल एक किताब पढ़ी
(Maine kal ek kitāb paṛhī.)
मैं आज एक किताब पढ़ रहा हूँ
(Main āj ek kitāb paṛh rahā hū̃.)
मैं कल एक किताब पढूँगा
(Main kal ek kitāb paṛhūṅgā.)
Arabisch قرأتُ كتابًا أمسِ
(Qara'tu kitāban amsi.)
أقرأُ كتابًا اليوم
('Aqra'u kitāban al-yawm.)
سأقرأُ كتابًا غدًا
(Sa-'aqra'u kitāban ghadan.)

(Hinweis: Im Russischen und Hindi können sich die Verbformen je nach Geschlecht des Sprechers ändern. Die gezeigten Formen sind männlich, mit der weiblichen russischen Vergangenheitsform in Klammern.)

Abschließende Gedanken

Das Ausdrücken von Zeit ist kein universeller Mechanismus; Sprachen legen unterschiedlichen Wert auf Morphologie, Aspekt, Modalität und Kontext. Für den Sprachlernenden ist der produktivste Ansatz, über das Auswendiglernen von Zeitform-Tabellen hinauszugehen und zu versuchen, die zugrunde liegende Logik des Systems der Zielsprache zu verstehen. Indem man sich darauf konzentriert, wie eine Sprache Ereignisse strukturiert (Aspekt) und sie in einen Kontext stellt (Adverbien), wird die wahre kommunikative Bedeutung hinter „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ klar.